Warum China Russland braucht
Von Geworg Mirsajan
Mit Beginn der Militäroperation hat sich Russlands Abhängigkeit von China deutlich erhöht, insbesondere im Bereich des Exports und Imports, der Umgehung von Sanktionen, des Kohlenwasserstoffhandels usw. Allerdings ist Chinas Abhängigkeit von Russland ebenfalls gestiegen. Und nun ist es für Peking schwierig, nicht nur seine Interessen in der Welt, sondern auch seine Sicherheit ohne russische Unterstützung zu schützen. Dies sind nur einige der Bereiche, in denen China Russland dringend benötigt.
Neue Weltordnung
China braucht Russland im Rahmen seiner neuen Weltpolitik
"Noch wenige Jahre zuvor zeigte China keine große Aktivität in internationalen Angelegenheiten. Es interessierte sich vor allem für die Sicherheit seiner gigantischen Investitionen und das eigene Projekt der Neuen Seidenstraße. Das heißt, es ging von seinen Handels- und Wirtschaftsinteressen aus. In Peking gab es die Meinung, dass es sich nicht lohnen würde, sich in Sicherheitsfragen abseits von Garantien für eigene Projekte hineinzusteigern. Daher hielt sich China von den Problemen der Region und den Problemen jedes Landes fern", erklärte die Politologin und Expertin des russischen Rats für internationale Angelegenheiten Jelena Suponina der Zeitung Wsgljad.
Nun hat sich die Lage geändert. China wurde es bewusst, dass der Status einer wirtschaftlichen Großmacht aus der Position eines außenpolitischen Zwergs nicht zu erreichen und vor allem nicht zu erhalten ist. Deswegen entfaltet die chinesische Diplomatie ihre Flügel und dringt in unterschiedliche Regionen der Welt vor.
So etwa nach Afrika, wo China den Ländern diverse Entwicklungsprojekte anbietet. In den Nahen Osten, wo Peking die Rolle des Friedensstifters durch Vermittlung bei der Einleitung des saudisch-iranischen Versöhnungsprozesses erfolgreich unter Beweis gestellt hat. Sogar in die Ukraine, der Peking seinen Friedensplan präsentierte.
Dennoch muss China nicht einfach hineingehen, sondern es aus einer starken und ausgewogenen Position tun. Und in beiden Fällen ist eine enge Partnerschaft mit Russland unumgänglich. China hat gewisse Schwierigkeiten im Hinblick auf die Kraftprojektion. Es ist weder militärisch noch politisch bereit, die eigenen Streitkräfte zum Schutz nationaler Interessen oder seiner Verbündeten außerhalb von Ostasien einzusetzen. Russland dagegen ist dazu bereit. Der Leiter des analytischen Büros des Projekts "SONAR-2050" Iwan Lisan erklärte der Zeitung Wsgljad:
"Russland ist der einzige Verbündete Chinas, der über tatsächlich kampffähige Streitkräfte und Nuklearwaffen verfügt und der – wenn auch indirekt – gegen Chinas größten Feind, die USA, kämpft. Darüber hinaus ist Russland ein offensichtlicher Verbündeter bei der Erschließung afrikanischer Märkte, das militärische Mittel, etwa das private Militärunternehmen Wagner, effektiv einsetzt, um Geologen und Managern einen Weg zu bahnen."
Was die Ausgewogenheit angeht, so braucht China hier nicht nur russische Unterstützung, sondern auch russische Erfahrung. Jelena Suponina erklärte:
"Die Erfahrung einer ausgewogenen Außenpolitik besteht darin, dass Beziehungen zu mehreren Ländern entwickelt werden können und müssen. Darin ist die Einzigartigkeit der russischen Linie: wo die USA Allianzen gegen andere schmieden, entwickelt Moskau Beziehungen mit allen. Peking benötigt dringend eine Balance im Hinblick auf seine Handelsinteressen und auf Projekte von Transportkorridoren."
Auch insgesamt benötige China nach Meinung der Expertin "vor dem Hintergrund des Zerfalls der bestehenden Weltordnung einen treuen Partner und Verbündeten, der den westlichen Ländern widerstehen und sich für die Schaffung einer neuen Welt nicht nach US-amerikanischen Regeln, sondern unter Berücksichtigung von Interessen aller einflussreichen Länder einsetzen könnte". Also Russland.
Stabilität in Zentralasien
Bei all seinen globalen Plänen lässt Peking das Regionale nicht aus den Augen, insbesondere in Zentralasien. China ist an der Stabilität des zentralasiatischen Raums interessiert. Nicht nur, um nicht von seiner Expansion in Südostasien abgelenkt zu werden, sondern auch, weil eine Reihe von Ereignissen in Zentralasien Chinas Sicherheit und territoriale Integrität bedrohen könnten. Das Oberhaupt des Eurasischen analytischen Clubs Nikita Mendkowitsch erklärte gegenüber der Zeitung Wsgljad:
"Für China ist es wichtig zu verhindern, dass die USA und NATO Kasachstan und Kirgisistan als Aufmarschgebiet zur Destabilisierung der Lage im Uigurischen Autonomen Gebiet Xinjiang und zur Unterstützung uigurischer Separatisten nutzen. Ferner stellt die Arbeit von Biolaboren der USA in Almaty, Gwardeiski und Taschkent ein Problem dar."
Schließlich ist Zentralasien, insbesondere Turkmenistan, ein Raum, aus dem Energieträger nach China kommen und über den chinesische Waren im Rahmen der Neuen Seidenstraße nach Europa gelangen. Für Peking ist es wichtig, die Sicherheit dieses Raums zu gewährleisten, wofür es Russland benötigt. Iwan Lisan sagte:
"Russland hat durch Taten bewiesen, dass es bereit ist, Stärke einzusetzen und Erfolge zu erzielen, um diese Region, die Chinas Hinterland darstellt, zu stabilisieren."
Nikita Mendkowitsch erklärte:
"Für Moskau und Peking ist es leichter, ihre Ziele in der Region, vor allem diplomatische und politische, durch koordinierte Anstrengungen zu erreichen. Vereinigen wir unsere Anstrengungen, können wir erreichen, dass sowohl die Infrastruktur der NATO aus Zentralasien herausgedrückt wird, als auch dass nationale Regierungen die westliche Agentur und die durch die USA unterstützten Extremisten aktiver bekämpfen."
Sicheres Öl und Gas
China ist eines der Produktionszentren der Welt und benötigt daher einen Zufluss von Energieträgern. Diese sollten preisgünstig und im Hinblick auf die Lieferung sicher sein. Und auch wenn China mit dem ersten Punkt keine besonderen Probleme hatte, weil es immer mit seinen Lieferanten aus Nahost, vor allem Iran, eine Vereinbarung treffen konnte, ist der zweite Punkt für Peking seit Langem von Belang. Der Experte des Fonds für nationale Sicherheit und Dozent der Finanzuniversität Igor Juschkow erklärte der Zeitung Wsgljad:
"Alles, was aus dem Süden über den Meeresweg nach China gelangt – und das ist der Großteil des Öls, des Gases und der Kohle – kann durch die US-Marine und ihre Verbündeten blockiert werden. Besonders die Warenmengen, die durch die Straße von Malakka transportiert werden. Es ist ein Flaschenhals des weltweiten Kohlenwasserstoffhandels, wo die US-Marine unter dem Vorwand der Piratenbekämpfung regelmäßig Übungen veranstaltet. Wenn die USA diesen Flaschenhals also blockieren, entsteht in China ein Ressourcenmangel."
Er fuhr fort:
"Das Beispiel der Vernichtung der Nord Stream-Pipelines zeigt, dass die USA mit Leichtigkeit Energieprojekte vernichten können, um dem Gegner zu schaden. Daher muss sich China nicht nur um den Kauf der künftig benötigten Energieträger kümmern, sondern auch darum, dass ihre Quellen sicher sind. Eine solche Option kann nur Russland bieten."
Moskau kann Öl und Gas nach China liefern und dabei Flaschenhälse und unsichere Transitgebiete vermeiden. Die Lieferungen aus Russland sind gegen den politischen Druck der USA geschützt. Schließlich sind sie, wenn es sich um Flüssiggas handelt, vor jeglichen Bedrohungen einer feindlichen Übernahme durch die US-Marine geschützt.
Transit, Handel und Produktion
Dies betrifft nicht nur Energieträger, sondern auch Mineralressourcen. Heute erhält China viel aus Afrika, doch je weiter sich sein Konflikt mit den USA verschärft, desto unsicherer werden afrikanische Lieferungen im Hinblick auf Lieferrouten werden. Solche Probleme wird es mit Russland nicht geben.
Dabei beschränkt sich die Rolle Russlands nicht ausschließlich auf Ressourcenlieferungen.
Moskau wird von Peking nicht nur als Verkäufer, sondern auch als Käufer benötigt. Es ist kein Geheimnis, dass die USA China de facto einen Handelskrieg erklären. Sie versuchen, die Entwicklung von chinesischen hochtechnologischen Wirtschaftsbranchen einzuschränken, unter anderem durch deren Verbannung von westlichen Märkten. Und auch wenn sich Europa vorerst widersetzt, bestehen kaum Zweifel, dass die US-Regierung es zwingen wird, weil europäische Eliten schlicht nicht souverän sind.
Doch der russische 150-millionenköpfige Markt verfügt über äußere Souveränität, über Kapazität und vor allem über ein Vakuum nach dem Abgang westlicher Unternehmen. Iwan Lisan sagte:
"Russland kann zu einem zuverlässigen Käufer chinesischer hochqualitativer Erzeugnisse werden, darunter Maschinen, Werkzeugmaschinen und Ausrüstung."
Dabei werden chinesische Hersteller mit ihren Kollegen aus anderen Ländern konkurrieren müssen, die das entstandene Vakuum nutzen wollen – mit der Türkei, dem Iran, selbst mit europäischen Staaten, die einen Weg gefunden haben, die Sanktionen zu umgehen.
Darüber hinaus wird Russland für den Transit chinesischer Waren in andere Länder gebraucht. Es könne für chinesische Waren einen Landweg oder mit der Nordostpassage einen Seeweg nach Europa bieten, dessen Funktionsfähigkeit im Gegensatz zu südlichen Meeresrouten praktisch nicht unterbrochen werden kann, erklärte Iwan Lisan.
Schließlich braucht China Russland nicht nur als Abnehmer oder Transitland für seine Produkte, sondern als Helfer bei deren Entwicklung, etwa als Partner bei wissenschaftlicher Forschung. "Nicht umsonst setzt Huawei seine wissenschaftliche Forschung in Russland fort", erklärte Iwan Lisan. Die russische Schule für Physik und Mathematik gilt immer noch als eine der besten der Welt.
Militärische Technologien
Eines der wichtigsten Bereiche für die technologische Zusammenarbeit ist das Militär. Es ist unmöglich, eine Großmacht ohne leistungsstarke und moderne Streitkräfte zu werden. Damit hat China noch gewisse Probleme.
Chinas Volksbefreiungsarmee ist groß, sie zählt über zwei Millionen Menschen, 13 bewaffnete Armeen. Dennoch weist der chinesische Rüstungskomplex heute eine Reihe von Schwachstellen auf, die er nur mithilfe eines technologisch mindestens ebenso technologisch fortschrittlichen Partners beheben kann. Dafür kommt ausschließlich Russland infrage, denn alle anderen Länder auf diesem Technologieniveau gehören zum Westen und damit zum US-amerikanischen Lager.
Beispielsweise hat China noch Probleme mit einigen Komponenten für seine Luftstreitkräfte. Der Militärexperte Alexei Leonow erklärte der Zeitung Wsgljad:
"China versucht seit mittlerweile 35 Jahren erfolglos, ein Turbojet-Triebwerk zu entwickeln, um damit Flugzeuge der vierten und fünften Generation auszustatten. Sie versuchten sogar, unsere Flugzeugtriebwerke zu kopieren, und dennoch waren die technischen Daten dieser Erzeugnisse schlechter, als bei denjenigen, die in Russland produziert wurden. Der Bau von Triebwerken ist eine ganze technische Schule. Man kann nicht einfach aus der ersten Klasse zu einem Universitätsabschluss springen. Deswegen mühte sich China lange ab und traf danach die weise Entscheidung, einfach russische Triebwerke zu kaufen."
Außerdem schafft es China bisher nicht, eine effektive gestaffelte Luftabwehr zu schaffen. Es gab Versuche, die russischen Luftabwehrkomplexe der Typen Tor, Buk und S-300 zu kopieren, doch endeten sie erfolglos. Alexei Leonkow erklärte:
"Feldversuche zeigten, dass Raketen aus chinesischer Produktion nicht nur auf eine kleinere Entfernung, als die russischen fliegen, sondern auch andere Möglichkeiten beim Abschuss von Luftzielen haben. Beträgt die Trefferquote bei unseren Mehrkanal-Komplexen 0,9, also praktisch eine Rakete für ein Ziel, benötigt China zwei Raketen für einen Abschuss. Deswegen beschloss China auch hier, einfach bei uns einzukaufen."
Peking benötigt auch weitere russische Technologien – luftunabhängige Anlagen für dieselelektrische U-Boote, Störsignalsender gegen U-Jagdsysteme, darunter U-Jagdflugzeuge usw.
Und Moskau ist bereit, zu teilen. Alexei Leonkow fuhr fort:
"Insbesondere bauen wir bereits zusammen mit der Volksrepublik China ein gemeinsames Warnsystem für Raketenangriffe auf. Es stellte sich heraus, dass unsere gesammelte Erfahrung deutlich größer war als die der Chinesen."
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Für China lohnt es sich, mit Russland zusammenzuarbeiten, und zwar auf gleichberechtigter Grundlage, um das nötige Vertrauensniveau bei Beziehungen mit Moskau zu erhalten. Um Fehler zu vermeiden, die die USA in den 1990er-Jahren begangen hatten, als sie Russland in die Position eines untergeordneten Partners stellten, wofür sie heute büßen müssen.
Übersetzt aus dem Russischen und zuerst erschienen bei Wsgljad.
Geworg Mirsajan ist außerordentlicher Professor an der Finanzuniversität der Regierung der Russischen Föderation, Politikwissenschaftler und eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens. Geboren wurde er 1984 in Taschkent. Er machte seinen Abschluss an der Staatlichen Universität in Kuban und promovierte in Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Vereinigte Staaten. Er war von 2005 bis 2016 Forscher am Institut für die Vereinigten Staaten und Kanada der Russischen Akademie der Wissenschaften.
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