Ist die Schuldenbremse eigentlich eine Wachstumsbremse?
Anlässlich des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum Nachtragshaushalt der Bundesregierung weisen die Ökonomen Heiner Flassbeck und Friederike Spiecker in einem Beitrag für den Blog Relevante Ökonomik noch einmal auf existierende makroökonomische Zusammenhänge hin.
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat der Bundesregierung verboten, Schulden, die in einer Ausnahmesituation und daher unter Aussetzung der Schuldenbremse aufgenommen wurden, nachträglich umzuwidmen. Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse ist einzuhalten, urteilten die Verfassungsrichter.
Die Diskussion über das Urteil wird politisch, juristisch und ökonomisch geführt, schreiben die Autoren. Allerdings müssten die ökonomischen Argumente im Vordergrund stehen.
"Auch wenn mit einer haushaltspolitischen Entscheidung ein Gesetz juristisch korrekt eingehalten wird, kann diese Entscheidung in ökonomischer Hinsicht falsch sein. Es besteht nämlich die Gefahr, dass falsche Entscheidungen zu noch stärker steigenden Schulden führen, weil die Wirtschaft massiv einbricht."
Die Autoren fordern, den Zusammenhang von Zinslast, Wachstumsraten und Staatsausgaben im Zusammenhang zu sehen.
"Die Wachstumsrate einer Volkswirtschaft ist weder kurz- noch langfristig von außen vorgegeben, sondern ist das Ergebnis des Zusammenspiels von Wirtschaft und Wirtschaftspolitik. Wachstum und Produktivität hängen vor allem vom Investitionsverhalten ab, auf das das Zinsniveau wiederum einen großen Einfluss hat."
In ihrem Beitrag vergleichen Flassbeck und Spiecker die wirtschaftliche Entwicklung der EU und der USA. Der EU sei es in den letzten Jahren geglückt, ihren Schuldenstand zu drücken. Die Staatsschulden der USA dagegen wachsen beständig. Mehrfach musste die gesetzlich festgelegte Schuldenobergrenze angehoben werden.
Allerdings verzeichneten die USA durchweg höhere Wachstumsraten und niedrigere Arbeitslosenzahlen als die EU. Trotz höherer Schulden stünden die USA deutlich besser da als die Länder der EU und des Euro-Raums.
Flassbeck und Spiecker weisen nach, dass sich der Schuldenstand der USA umgekehrt zur privaten Sparneigung verhält. Je höher der Schuldenstand, desto größer das gesparte Privatvermögen. Staatsschulden sind privates Vermögen. Dieser Zusammenhang wird übersehen. Daher ist auch die Rede von der Generationengerechtigkeit verfehlt.
Die Frage, die den beiden Ökonomen zufolge jetzt zu stellen sei, laute:
"Warum ist es den USA, allen Unkenrufen der Finanzwissenschaftler zum Trotz, gelungen, mit sehr viel mehr Staatsverschuldung eine weit bessere Wirtschaftsentwicklung zu erreichen, als es Europa mit seinen Fiskalregeln zustande gebracht hat?"
Wenn der private und der Unternehmenssektor sparen, bleibt nur der Staat als Schuldner übrig, argumentieren die Autoren.
"Alle übrigen Sektoren einschließlich der Unternehmen befinden sich seit zwei Jahrzehnten fast immer über null, das heißt im Sparmodus: Sie verzeichnen Einnahmeüberschüsse. Da in der Volkswirtschaft geplante Einnahmeüberschüsse nur realisiert werden können, wenn ein anderer Sektor Defizite akzeptiert und damit verhindert, dass das gesamtwirtschaftliche Einkommen sinkt, hat der Staat das getan, was er tun musste, um eine Schrumpfung der Wirtschaft zu verhindern."
Er hat Schulden aufgenommen. Unterbleibt das, sinkt zwangsläufig das Wachstum, ergibt sich aus dem Vergleich mit der EU. Dort waren die Staaten weniger bereit, sich zu verschulden, was sich negativ aufs Wachstum auswirkte.
"Die Saldenanalyse für beide Wirtschaftsräume legt den Schluss nahe, dass die USA vor allem in Krisenzeiten mit einer schnelleren und quantitativ wesentlich deutlicheren Gegenreaktion des Staates erhebliche Wachstumseinbußen vermieden haben. Es kommt (...) darauf an, dass der Staat bei einer restriktiven Bewegung der Privaten schnell und entschlossen handelt, um das Abrutschen in eine tiefe Krise zu verhindern. Nur wenn der Staat jederzeit handlungsfähig ist, kann er rechtzeitig eingreifen. Genau das aber verhindern gesetzliche Regeln wie die deutsche Schuldenbremse oder die europäischen Schuldenregeln, weil sie Prävention einfach nicht kennen."
Es sei notwendig, den Gesamtzusammenhang von Staat, privatem und Unternehmenssektor zu betrachten. Der Fokus allein auf Staatsschulden führe in die Irre.
"Wenn es den Staaten nicht gelingt, selbst mit Nullzinsen wie in den 2010er Jahren die Unternehmen dazu zu bringen, systematisch und vorhersehbar, also aktiv, die Schuldnerposition einzunehmen bei ebenfalls sparenden privaten Haushalten, muss der Staat mit dauerhaft und permanent steigenden Schulden die Nachfragelücke füllen. (...) Wer den Staat isoliert betrachtet oder sich mechanistisch auf Zins-Wachstumsrelationen beschränkt, trägt nicht zur Lösung wirtschaftspolitischer Probleme bei, sondern befeuert sie."
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