Wirrwarr und gefährliche Ahnungslosigkeit – Baerbocks Befragung im Bundestag
Von Dagmar Henn
Die Welt im Kopf von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock ist eine seltsame; aber sie ist gut gegen ein Eindringen der Wirklichkeit abgesichert. Das hat die Befragung in der 96. Sitzung des Deutschen Bundestages am Mittwoch bewiesen. Was sie auch bewiesen hat: Im ganzen Deutschen Bundestag sieht es wohl ähnlich aus, wenn man von der AfD und Teilen der Linken absieht.
Am wohlsten fühlte sie sich zu Beginn, als sie mit der Redezeit noch aus dem Vollen schöpfen und mit endlosen, nicht gerade gelungenen Bandwurmsätzen ihre Vorstellungen ausbreiten konnte. So etwa, als sie auf die erste Frage aus der CDU, die noch mehr Unterstützung für Taiwan forderte, ihre bekannte Position wiederholte und mit den Worten schloss: "... und was manchmal hier dann vielleicht in der Berichterstattung nicht ganz so deutlich gesehen worden ist: Als der französische Präsident dort war, ist ja auch eine französische Fregatte durch die Straße von Taiwan deutlich gefahren und hat damit deutlich gemacht, dass wir eben das Verständnis mit Blick auf die Freiheit dieser so für den Welthandel wichtigen Route als Europäer gemeinsam beieinanderstehen."
Nun ja. Im schriftlichen Protokoll wurde diese Passage – wie andere Baerbocksche Stolperer – so weit redigiert, dass ein grammatikalisch vollständiger Satz daraus wurde, so wie auch alle anderen Wortneuschöpfungen diskret unterschlagen werden (Sellschaft statt Gesellschaft, Griff statt Begriff). So, wie sie tatsächlich gesagt wurden, enthüllen diese Sätze allerdings mehr.
So ging es eine ganze Zeit lang weiter. Aus der SPD-Fraktion wurde dem G7-Mitglied Japan der Vorwurf gemacht, bisher nicht willig genug Russland sanktioniert zu haben, dem Baerbock mit einem weiteren Wortschwall widersprach. Wenn man halbe Sätze aus diesen Bandwürmern herausschneidet, kann man zumindest so tun, als hätte das Ganze einen Sinn gehabt.
Nach der ersten Frage aus der AfD-Fraktion gelingt das dann nicht mehr. Befragt wurde Frau Baerbock nach einer E-Mail, die von einem Referat im deutschen Auswärtigen Amt an die Botschaft in Pakistan gegangen sein soll, damit dort auch in möglicherweise gefälschte afghanische Pässe Visa erteilt werden. Woraufhin Baerbock zwar mit besonders viel Pathos antwortete und mit Begriffen wie Rechtstaatlichkeit um sich warf, nur leider nicht beantwortete, ob es diese Mail gab oder nicht. Wenn man ihre langen Ausführungen hört, wird einem noch nicht einmal klar, ob sie das selbst überhaupt weiß. Aber auf jeden Fall meinte sie zu wissen, dass jetzt irgendwo das Stichwort Frauen und Kinder fallen muss. "Und deswegen habe ich mit den Pakistani eine Vereinbarung getroffen, dass Menschen über ihre Grenze kommen können, auch wenn sie keine Pässe haben, weil Pässe dort nicht ausgestellt werden, wir können alle froh sein, dass wir Reisepässe haben können, um zu reisen. Das funktioniert da nicht. Und deswegen haben wir dafür gesorgt, dass Frauen und Kinder, insbesondere solche, oder Anwältinnen, Rechtsanwältinnen, schnellstmöglich aus Pakistan rauskommen können."
Wenn man versucht, Baerbockisch ins Deutsche zu übersetzen, würde das heißen: weil den Leuten keine Pässe ausgestellt werden, kommen sie ohne Pässe – was dann logisch ergeben würde, dass die Pässe, in denen dann Visa erteilt werden, nicht nur gefälscht sein können, sondern geradezu gefälscht sein müssen (außer, die afghanische Botschaft in Islamabad würde sich jedes Bein ausreißen, um entschwindende Staatsangehörige ohne Papiere schnell noch mit ordentlichen Dokumenten auszustatten). Aber eben das hat sie nicht gesagt, sondern nur etwas, das man auf diese Art deuten kann, wenn man voraussetzt, es wäre wirklich ein Sinn in dieser Antwort zu finden.
Später gab es eine Frage des – ehemals AfD – jetzt fraktionslosen Bundestagsabgeordneten Robert Farle. Der wollte von ihr wissen – angesichts der Verurteilung einseitiger Sanktionen durch die mit großer Mehrheit im UN-Menschenrechtsrat am 3. April angenommene Resolution: "Werden Sie jetzt Ihr vehementes Eintreten für ständig schärfere Sanktionen überdenken und endlich das Völkerrecht respektieren und den ständigen Bruch des Völkerrechts beenden?"
Daraufhin schwadronierte Baerbock etwas von Blockade des Sicherheitsrats durch Russland, und dass die Vollversammlung ja Russland als Angreifer benannt habe. Das ändert aber erstens nichts an der Tatsache, dass dennoch nach geltendem Völkerrecht einseitige Sanktionen illegal sind, und übergeht zweitens den Punkt, dass die Lage im UN-Sicherheitsrat aufgrund der Vetorechte von Anbeginn so war und eben jener Punkt, dass Sanktionen dort nur verhängt werden können, wenn die Nuklearmächte sich einig sind, Teil dieser Konstruktion ist. Es war eben niemals beabsichtigt, dass Sanktionen zu einem alltäglichen Mittel der Politik werden, die bestimmte Länder nach ihrem Gutdünken verhängen können.
Aber das würde voraussetzen, dass Annalena Baerbock Ahnung von der Geschichte dieser mühsam nach dem Zweiten Weltkrieg errungenen Institutionen und ihrer Rechtsbegriffe hätte und dass Sanktionen eben keine "zivilen Mittel" sind, sondern Maßnahmen eines Wirtschaftskrieges. Die Folgen der Sanktionen gegen den Irak sind allgemein bekannt, ebenso wie die Aussage der damaligen US-Außenministerin Albright dazu, sie seien eine halbe Million toter Kinder im Irak wert gewesen.
Auch Sevim Dağdelen von der Fraktion Die Linke fragte danach, was Baerbock denn zur Haltung des globalen Südens sage. Und Baerbock antwortete nicht, sondern lenkte ab – es gebe ja auch andere afrikanische Länder.
Das deutlichste Beispiel, wie unzugänglich Baerbock für eine sich verändernde Wirklichkeit der Weltlage ist, war ihre Antwort auf die Frage von Petr Bystron (AfD). Er fragte kurz und bündig: "Der Internationale Währungsfonds [IWF] prophezeit sogar eine Stärkung der russischen Wirtschaft. Ist das ein Scheitern Ihrer Politik, und welche Konsequenzen werden Sie daraus ziehen?"
Die Antwort verrät mehr, als der Außenministerin lieb sein kann: "Mit Blick auf Russland und die Frage – diese Frage haben Sie mich ja schon öfter gestellt –, ich empfehle das Lesen eines Wall-Street-Journals-Artikels über die Auswirkungen der Sanktionen, der wirtschaftlichen Lage in Russland, leider wurde dieser Journalist vom russischen Präsidenten, den Sie ja offensichtlich unterstützen, verhaftet, Völkerrechtsbruch pur, ich kann nur an Sie appellieren, dass Sie vielleicht ihre guten Drähte nach Moskau nutzen, damit dieser Mensch wieder freikommt und wir solche Fakten überall auf der Welt lesen können."
Diese Antwort zeigt zum einen, dass sie leidenschaftlich gerne Propagandageschichten lauscht; bei dem von ihr angesprochenen Journalisten kann es sich nur um den Journalisten für das Wall Street Journal (WSJ) handeln, der wegen Spionage festgenommen wurde. Das kommt vor, ist aber eine Frage des Strafrechts und nicht des Völkerrechts, denn es gibt keine völkerrechtliche Regel, die Journalisten Immunität verleiht. Sie erzählt eine Geschichte, die den Eindruck erwecken soll, besagter Journalist sei verhaftet worden – und zwar von Putin persönlich –, weil er die Wirksamkeit der Sanktionen bestätigt habe.
Das ist in jeder Hinsicht eine Räuberpistole, und wenn sie die selbst glaubt, kann man sie nur bedauern. Aber auf der rein professionellen Ebene zeigt es, dass sie nicht weiß, wie man Informationen bewerten muss. Weil sie glaubt, irgendein Artikel aus dem WSJ könne ein Argument gegen eine Einschätzung des IWF sein. Das ist, als wolle man mit einem Artikel aus dem Osnabrücker Tagblatt Zahlen des Statistischen Bundesamtes widerlegen – eine Studie des IWF steht zweifelsfrei qualitativ weit über einem einzelnen journalistischen Artikel in einer einzelnen Zeitung. Wer völlig unfähig ist, Informationen nach ihrem Gewicht einzustufen, ist nach Belieben manipulierbar und vermag nicht wahrzunehmen, wenn die Wirklichkeit von der eigenen Vorstellung abweicht. Für jedes politische Amt oberhalb der Kreisebene ist so jemand völlig untauglich.
Erschütternd ist nur, dass sie für diese Sätze auch noch Beifall erhielt. Vermutlich, weil das Muster vom "bösen Putin" gegen "freie Presse" bedient wurde, das fast alle dort Versammelten so lieben, egal, ob es wahr ist oder nicht. Eigentlich hätte ihr Gelächter entgegendröhnen müssen, schon allein wegen der Formulierung "wurde vom russischen Präsidenten verhaftet". Als gäbe es in Russland keine Polizei, keine Sicherheitskräfte, jedes Mal müsse der Präsident dann persönlich ran. Aber dahinter mag sich in der Umkehr ihre eigene Erwartung an ihre eigene Machtfülle verbergen; denn anders denn als individuelle Herrschaft, als persönliche Machtausübung vermag sie – das zeigt ihr Auftreten immer wieder – ihre eigene Tätigkeit nicht wahrzunehmen.
So, wie sie nach wie vor auch völlig übergeht, dass sie an der Sabotage der Minsker Abkommen beteiligt war und damit persönlich Mitverantwortung an der Entwicklung in der Ukraine trägt. Das ist ihr vermutlich einfach beim Spielen so passiert.
Es gab ja eine Reihe Autoren, die gern behaupteten, eine kindliche Sicht auf die Welt sei reiner und unschuldiger. Was wir hier serviert bekommen, ist eine kindliche Sicht aus einer fantasierten Position der Überlegenheit, und nichts daran ist noch rein und unschuldig. Wobei nicht klar ist, ob ihr permanentes Ablenken von den an sie gerichteten Fragen eine bewusste Reaktion ist oder ob sie einfach zeigt, wie ungeordnet Geschichtchen und Emotionen in diesem Kopf gelagert werden. Es gibt viele Politiker, die die Kunst beherrschen, sich auf Rückfragen hin in einen Pudding zu verwandeln, der sich beim besten Willen nicht an die Wand nageln lässt. Bei Baerbock ist das keine Kunst. Der Pudding ist der Zustand; die einzig soliden Konstanten sind die transatlantischen Phrasen, die sie wohl – oder irgendwer mit ihr – regelmäßig übt.
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