Russischer Gouverneur: Charkow sollte dem Gebiet Belgorod angegliedert werden
Wjatscheslaw Gladkow, der Gouverneur des Gebiets Belgorod, bezeichnete den Beitritt der Stadt Charkow und des gleichnamigen Gebietes als Lösung für das Problem des Beschusses der Territorien seiner Region.
Darauf wies er im russischen Fernsehen hin. Er erklärte als Antwort auf eine entsprechende Frage einer Reporterin:
"Charkow sollte dem Gebiet Belgorod angegliedert werden. Dies ist der beste Weg, um das Problem des Beschusses des Gebietes Belgorod zu lösen."
Er sagte, dass seit Beginn der russischen Militäroperation mindestens fünf Sabotage- und Aufklärungsgruppen aus der Ukraine in das Gebiet Belgorod eingedrungen wären. Er fügte hinzu:
"Wir leben unter den Bedingungen eines echten Krieges. Ob es uns gefällt oder nicht, er findet statt."
Zumindest bei der letzten Attacke am 22. Mai waren die Eindringlinge zahlenmäßig in der Stärke eines Bataillons. Es handelt sich daher um mehr als nur eine Sabotage-Aktion, sondern um eine kleine Besatzungstruppe. Bei den grenzüberschreitenden Angriffen wurden bereits mehrere Zivilisten getötet und Dutzende verletzt. Es gibt auch immer wieder Drohnenangriffe und Beschuss der zivilen Infrastruktur in den grenznahen Orten der Gebiete Brjansk und Belgorod. Allein beim Beschuss des Gebiets Belgorod starben 30 Menschen, 120 wurden verletzt (Stand 20. April).
Die Gebietshauptstadt Belgorod ist nur 80 Kilometer von Charkow entfernt. Die beiden Gebiete waren über Jahrhunderte in historischer, sprachlich-kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht untrennbar verbunden. Auch nach der ukrainischen Unabhängigkeit 1991 pflegten die beiden Regionen gutnachbarschaftliche, grenzübergreifende Beziehungen, bis der ukrainische Nationalismus Anfang der 2010er Jahre in Charkow stark an Einfluss gewann. Die militante neonazistische Asow-Bewegung hat ihre Wurzeln in der Charkower Ultras-Szene.
Die Nationalisten waren jedoch in Charkow lange in der Unterzahl. Nach dem Kiewer Maidan 2014 demonstrierten Zehntausende Charkower gegen die Putsch-Regierung in Kiew. Im April und Mai wurde die prorussische Bewegung in Charkow vom ukrainischen Geheimdienst und den Polizeiorganen zerschlagen.
Im Jahr 2022 brachte die russische Armee bis zu einem Drittel des Territoriums des Charkower Gebiets unter ihre Kontrolle und setzte eine Regionalverwaltung aus lokalen Kräften ein. Im Sommer besuchten russische Regierungsvertreter das Gebiet und kündigten Integrationsprogramme an. Später im September zogen die Einheiten der russischen Armee unter dem Druck der zahlenmäßig stärkeren ukrainischen Streitkräfte aus vielen Orten des Gebiets ab. Aktuell kontrolliert Russland im Gebiet Charkow 30 Orte im Grenzbereich im Südosten.
Die Diskussion über den Anschluss der ukrainischen Gebiete an die Russische Föderation ist festes Thema in den russischen Medien. Viele Kommentatoren halten es für notwendig, so viele Gebiete wie möglich, die unter Kiewer Kontrolle stehen, unter russische Kontrolle zu bringen. Es werden verschiedene Gründe genannt: von der Rettung des russischen Erbes und der Kultur vor der Auslöschung durch das Kiewer Regime, der Wiederherstellung historischer Gerechtigkeit bis hin zu militärstrategischen und sicherheitsrelevanten Überlegungen.
Vor allem das letzte Argument entspricht der offiziellen Linie des Kremls. Russland müsse die Gefahr von seinen Grenzen weiter wegschieben, sagte der russische Präsident Wladimir Putin im Februar, als westliche Unterstützer die Lieferung von Langstreckenraketen an die Ukraine ankündigten. Mit der Besetzung des Charkower Gebiets sei aber das Problem nicht gebannt, schreiben nun mehrere Kommentatoren.
"Und was wäre dann nötig, um das Problem des Beschusses in Charkow zu lösen? Die Lösung für das Problem des Beschusses ist genau eine: die Unfähigkeit der Ukraine, den Beschuss physisch durchzuführen. In jedem anderen Fall werden der Beschuss, die terroristischen Angriffe, die Bombardierungen usw. weitergehen ‒ das ist das Wesen der Ukraine in ihrer heutigen Form", schrieb der aus Donezk stammende Militärkorrespondent Dmitri Astrachan.
Ähnlich argumentierte auch der Militärexperte Juri Barantschik auf seinem Telegram-Kanal und wies darauf hin, dass einzig die Rückeroberung der restlichen Ukraine das Problem lösen würde: Wenn das ukrainische Territorium nicht auf das Gebiet der sieben westlichen Gebiete schrumpft, werden die angrenzenden Regionen der Russischen Föderation dauerhaft in der Gefahrenzone bleiben.
Viele russische Meinungsführer und Politiker halten den ukrainischen Staat in seiner jetzigen Form nicht für überlebensfähig und rechnen zumindest in der mittelfristigen Perspektive mit seinem Kollaps. Daher werden die möglichen Szenarien der Aufteilung der Ukraine zwischen den angrenzenden Ländern diskutiert, wie etwa im Beitrag des russischen Ex-Präsidenten und stellvertretenden Vorsitzenden des russischen Sicherheitsrates, Dmitri Medwedew, den er am 25. Mai auf seinem Telegram-Kanal veröffentlicht hat.
Es wäre für Russland akzeptabel, wenn die angrenzenden EU-Staaten die westlichen ukrainischen Regionen an ihr Staatsgebiet angliedern würden. Die Menschen der Zentral-Ukraine würden sich infolge einer Abstimmung Russland angliedern. "Der Konflikt endet mit langfristigen Garantien, damit er sich langfristig nicht wiederholt". Das Schicksal der überwiegend russischsprachigen Regionen im Südosten von Charkow über Dnjepropetrowsk bis nach Odessa hat Medwedew nicht einmal erwähnt. Sie sieht er offenbar in jedem Szenario als Teil Russlands.
Wie lange der gesamte bewaffnete Konflikt dauern könnte, sagte Medwedew nicht. In Russland reift das Verständnis dafür, dass aktive Offensiven entlang der gesamten Frontlinie Russland zu viele menschliche und sonstige Ressourcen abverlangen und schwächen würden. Es setzt daher auf einen langen Abnutzungskrieg mit verstärkten Angriffen mit verschiedenen Präzisionswaffen gegen Militärobjekte im ukrainischen Hinterland.
Das Einfrieren des bewaffneten Konflikts ist nach Meinung russischer Experten des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik zwar vorübergehend denkbar, stellt aber keine realistische und dauerhaft stabile Lösung dar. Denn die Ukraine ist auf dem besten Weg, zu einem europäischen Afghanistan zu werden, was im Interesse der USA sei. Für Russland ist dies nicht akzeptabel, wie lange die Lösung des Konflikts auch dauern würde.
"Für Russland ist eine systemische und strategische Lösung nur durch eine radikale Umgestaltung der Ukraine in all ihren Erscheinungsformen möglich. Wenn dieser Prozess Jahrzehnte dauert, wird er Jahrzehnte dauern. Es gibt keine schnellere und einfachere Lösung für die ukrainische Frage."
Die Forderung des russischen Gouverneurs, das angrenzende Gebiet der Ukraine an Russland anzugliedern, sowie die Überlegungen des Ex-Präsidenten sind ein weiteres Zeichen, dass die russischen Verwaltungseliten langsam zu einem Konsens gelangen, wie die nächste Etappe der Militäroperation aussehen müsste.
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